Geschichten

Zombie

 

Ich war ein fröhlicher, selbstbewusster Mensch. Mein Leben bestand hauptsächlich aus Arbeit und ich liebte es. Vielleicht war ich schon immer ein Workaholic. Ein aufgestellter, dynamischer, extravertierter, selbstsicherer, kraftvoller Workaholic. 

Ich engagierte mich mit viel Herzblut. Ich war fit, kontaktfreudig, kreativ, aufgeschlossen, ehrgeizig und erfolgreich. In der Freizeit genoss ich meine Hobbies, reiste umher und traf mich mit Freund*innen. Alles war gut. 

Dann kam der Sommer.

Ich verwandelte mich in einen Zombie. Meine Lebensfreude war weg. Ich fühlte mich wie ein Wrack. Ich war energielos, leer, verängstigt und unbeschreiblich unsicher. Ich zog mich immer mehr zurück, erledigte meinen Job, ging nach Hause und dort blieb ich. Bis zum nächsten Morgen. Dann ging ich wieder arbeiten. 

Ich habe den Boden unter den Füssen verloren. Nichts funktionierte mehr. Ich wusste nicht, wie mir geschah. Eine grosse Verzweiflung machte sich breit. Ich fühlte mich komplett lebensunfähig. Psychosomatische Symptome wie Schlafstörungen, Angstzustände, Panikattacken und Konzentrationsschwierigkeiten entwickelten sich. 

Es folgten Arztbesuche und Psychotherapien und im Dezember trat ich in eine Klinik für Psychische Gesundheit ein. Dank den Therapien und den vielen Gesprächen mit medizinischem Fachpersonal, Familienmitgliedern und Freund*innen, lernte ich zu erkennen, welche Gründe für meinen Zusammenbruch verantwortlich waren. Ich fing an zu begreifen wie es dazu kam, dass ich die Probleme, die sich ankündigten, nicht rechtzeitig erkannte, welche Machenschaften beteiligt waren und welchen Manipulationen ich ausgeliefert war. 

Mein Wiedereinstieg ins normale Leben nach dem Klinikaufenthalt, gestaltete sich schwieriger, als ich angenommen habe. Ich versuchte das Erlernte anzuwenden, was mir jedoch schwerfiel und mich auch heute noch, Monate später, immer wieder Mühe kostet. 

Ich fühlte mich oft einsam, vermisste den Kontakt zu Menschen, die ähnliches erlebt haben und meine Situation nachvollziehen konnten. 

Aus diesem Grund habe ich die Selbsthilfegruppe für Psychische Gesundheit SHFPG gegründet. 

Der Mensch ist ein soziales Wesen; ob gesund oder nicht. Es geht uns besser, wenn wir nicht zu oft alleine sind. Wir müssen nicht alles alleine schaffen. 

Die SHFPG bietet Betroffenen die Möglichkeit, sich unverbindlich auszutauschen und voneinander zu lernen. 

Der Weg raus aus einer depressiven Episode kann ein langer und steiniger sein. Ich wünsche uns allen, dass wir ihn trotzdem gehen; Schritt für Schritt. 

Das Leben kann schön sein; bunt und voller wunderbaren Überraschungen. Leben wir es! 

Vita.

Zurück zu mir 

 

Ich galt schon als Junge als Heissdüse und liebte die Extreme in jeder Hinsicht. Ich wurde 1960 in Kinshasa Kongo in eine eher system-kritische Familie geboren, da waren die Probleme nicht weit. Ich wollte nämlich Karriere machen, was ich dann auch tat. 

 

Wie ich später herausfand war einer meiner Haupttreiber meine Mutter, die ich partout glücklich sehen wollte. Ich begann meine Karriere als Lebensmittelverkäufer und beendete sie ohne weiteres Studium an der Spitze eines Unternehmens mit 600 Mitarbeitenden. Sowas kostet einen den letzten Nerv. 

 

Im Jahr 2006 bekam ich die erste Warnung. Während eines Sabbaticals machte sich eine krasse Angst in mir breit, die später zu einer mittelschweren Angststörung mit depressiven Ausprägungen mutierte und mich zwang, über meine Lebensführung nachzudenken. 

Mit ein paar Änderungen schaffte ich es zurück auf die gewählte Strasse aber vergass, das Arbeitspensum im Auge zu behalten. Zudem liess ich dem Hauptfeind Perfektionismus freie Hand. 

 

Im Jahr 2015 im Anschluss an eine Verwaltungsratssitzung, bekam ich starke Schmerzen im Brustbereich und im linken Arm und begab mich sofort in Behandlung. Zuerst bei den üblichen Verdächtigen wie Kardiologen, dann bei einer Top Psychiaterin. 

Die Psychiaterin machte mir ein Angebot: ‚Entweder ich stelle Sie mit Medikamenten wieder so hin, dass Sie Ihren Blödsinn weitertreiben können, oder Sie ändern Ihr Leben‘. 

 

Das hat gesessen. Ich ging nach Hause und begann, über das Thema Veränderung nachzudenken. Als erstes stellte ich meinen Job zur Verfügung und kündigte. Dann klopfte ich mein Portemonnaie ab und rechnete ein Szenario für eine Frühpensionierung, die ich im Jahr 2018 antrat. Im gleichen Jahr kaufte ich mir einen Camper Van und ging auf Reisen ohne Plan. Einfach mal die Himmelsrichtung festlegen und tschüss. Ich übte das Nicht-Perfekt sein. 

Diese Reise wurde zu einer Reise zu mir selbst, zu den Inhalten, die mir entsprechen, zu einer Lebensform, aber auch zu meinen Grenzen. Ende 2019 sackte ich nach einer langen und sehr schwierigen Reise erneut in eine depressive Verstimmung. Aber ich hatte schon sehr viele Werkzeuge zur Verfügung, um mir zu helfen. Ich begann sehr aufmerksam zu werden auf die Signale, die wir so gern ignorieren. Alles wurde scheinbar wieder gut. 

Bis 2023 war mein Leben das eines Privilegierten; ohne materielle Sorgen, und mit viel Zeit für das Gute, Wertvolle und Schöne. Aus dieser sehr schönen Balance stürzte ich im Jahr 2023 erneut ab, diesmal in eine schwere Depression. 

 

Zuerst wurde der Körper krank und dann erst die Seele. Ich nahm sehr stark ab, konnte nur mit grosser Mühe meine Tage verrichten und dachte das erste Mal über den Freitod nach. Heute weiss ich, das hat es gebraucht als Entwicklungsschritt. Das muss jetzt seltsam klingen und ist es irgendwie auch. Aber in diesen dunklen Monaten habe ich nochmal so viel erarbeitet, alte, fast vergessene Fähigkeiten reaktiviert und nochmal aufgeräumt, manchmal mit gefletschten Zähnen, manchmal heulend. Mit Menschen, die narzistisch sind und wie Blutegel an mir saugen, weil ich sie lasse, mit Glaubenssätzen, die nichts bringen, mit zu viel Nett-Sein und den Zweifeln, ob man genügt. Aufräumen mit Ablenkung, überzogenem Materialismus und mit der Unfähigkeit, nichts zu tun. Dabei ist letzteres eine wahre Kunst, die durchaus erlernbar ist. Und allen voran aufräumen mit dem Drang, perfekt zu sein. Gut reicht nämlich auch. 

 

Plötzlich hatte ich mich wieder. Mein Bewegungsradius wurde dadurch überschaubar; wenn man sich nämlich selbst mal wieder hat, spielt der Ort plötzlich eine Nebenrolle - oder wird bedeutungslos. Dann habe ich meine Erwartungen und Einstellungen überprüft und nochmal scharf korrigiert. Es ist sehr wichtig, ein gutes Mass an Selbstzentrik zu finden, ohne gleich unerträglich egoistisch zu sein. 

Aus meiner Toolbox helfe ich mir gegenwärtig in Lebenssituationen mit einigen Fragen: 1. Macht es Sinn. 2. Will ich es. 3. Warum. 4. Habe ich meinen Zustand als etwas akzeptiert, das nun zu mir gehört. 5. Sehe ich mich als Opfer. 6. Achte ich auf Signale und Emotionen. 7. habe ich einen guten Kontakt und eine enge Verbindung zu mir selber. 

Solche Filter kann man mit einem guten Therapeuten erarbeiten. Es ist wichtig und sinnvoll, sich helfen zu lassen, aber Vorsicht mit den Erwartungen. Vom Umfeld nicht zu viel erwarten ausser die unbeantwortbare Sch….frage ‘Wie geht es dir?’. 

Gute Therapeuten sind sehr hilfreich, haben aber nicht zur Aufgabe, unsere Probleme mit Rezepten zu lösen, sie können höchstens Türen öffnen und Wege aufzeigen. Gehen müssen wir selber. 

Genau dieses Gehen katapultierte mich anfangs Januar 2024 zurück in den Kapitäns-Sessel meines Bootes. 

 

Das Leben ist eben doch schön, wenn man bei sich ist, und daraus entsteht letztendlich ein Sinn: bei sich selbst zu sein und für sich einzustehen, egal was die Welt darüber denkt. 

Es kann sein, dass ein solcher Weg Einsamkeit mit sich bringt. Das ist ein Teil, der zu akzeptieren ist. Sind wir aber bei uns, wird aus Einsamkeit Alleinsein; mindestens für mich gibt es nichts Schöneres. 

 

Heute lebe ich ganz anders, als es mir die Gesellschaft aufdrücken möchte. Die meiste Zeit bin ich mit meinem Camper Van unterwegs, weitgehend ohne Pläne, alles geschieht spontan. Es ist die Art Freiheit, die ich immer gesucht habe, auch wenn sie viel Eigenverantwortung bedeutet. 

 

Shadowcatcher 

Plötzlich viel Zeit für mich selbst und doch rinnt sie wie Sand durch meine Hände… 

Bald ein Jahr ist’s her seit ich von Drittpersonen überzeugt werden musste, dass nun doch der Zeitpunkt gekommen ist, um mich intensiv um mich selbst zu kümmern. 
Ausgerechnet ich! Ich war immer stolz darauf, dass ich belastende Ereignisse nach Aussen gut wegsteckte. Mich stark darauf konzentrierte, dass meine Leistung konstant gut war. Denn es ist mir immer noch wichtig, was andere über mich denken und ich nicht als «Mimöschen» oder «Weichei» wahrgenommen werden will. Zusätzlich gibt es da einen noch viel stärkeren Antreiber. Selbst wenn andere mir sagen, ich leiste eine ausserordentlich gute Arbeit, ist sie für mich gerade gut genug, denn durch diesen inneren Antrieb, bekomme ich Wertschätzung, kann meistens Konflikte vermeiden und komme meinem Ziel, geliebt zu werden, näher. Und doch fühle ich praktisch täglich, dass es nicht genügt, dass ich mich meinem inneren Wunsch kein bisschen näher fühle. 
Wann genau diese Abwärtsspirale begann, kann ich nicht mehr sagen. Auch weiss ich gar nicht mehr, was zuerst das Problem war; die Psyche oder doch die körperlichen Beschwerden, die es mir zusätzlich immer schwieriger machten, positiv zu bleiben. Ich begann Essgewohnheiten zu entwickeln, die mich schlussendlich mehr belasteten, als sie mir halfen. Denn mit Süssem oder Salzigem konnte ich mich zwar für einen kurzen Moment «geborgen und wohl» fühlen, aber dieser «Wohlfühlmoment» wurde immer kürzer. Die enger werdenden Kleider, mein Aussehen frustrierte mich immer mehr. 
Die zwischenzeitlich jahrelangen Gespräche mit meiner Psychotherapeutin lassen mich zusätzlich zweifeln. Im Kopf die Stimme «du bist unfähig, du kommst nicht voran, du hast versagt, du bist nicht liebenswert, du bist zu wenig effizient». Doch da ist eine zweite Stimme, ganz leise, die sich Gehör verschaffen will. 
Ich will nicht die ganze Zeit nur mit Arbeit verbringen, ich möchte noch schöne Dinge erleben, solange ich noch genug fit bin. Viel zu viel Zeit ist bereits vergangen, in der ich meine Bedürfnisse nicht wahrgenommen habe, sogar vergessen habe. In den Therapiesitzungen kann der Verstand vieles nachvollziehen und verstehen, aber die Emotionen sind extrem stark und nehmen immer wieder überhand. 
Der Moment, als ich mir eingestehen musste, dass es nun wirklich nicht mehr so weitergehen kann, weil ich mich nur sehr schwer konzentrieren konnte, viel zu viele Fehler machte, mich immer mehr von der Aussenwelt zurückzog und schon seit einer gefühlten Ewigkeit keine Nacht mehr richtig schlafen konnte, war stark mit Scham und Trauer belastet. 
Doch ich tief in mir – kaum spürbar durch diese Scham und Trauer - empfand ich auch eine gewisse Erleichterung und unendliche Dankbarkeit, mich durch eine Krankschreibung zurückziehen zu können, um nichts mehr zu müssen, sondern einfach nur zu sein. 
Natürlich wollte mein Antreiber nach Aussen den Schein bewahren und sicherstellen, dass ich so rasch als möglich wieder zurück «in den Sattel» finde, um meine Arbeit wie gewohnt zu leisten.

Die Idee, eine Auszeit in einer Klinik zu verbringen, um wieder auf die Beine zu kommen und die Probleme ganzheitlich anzupacken, fand ich aus den genannten Gründen daher äusserst sinnvoll. Ich war so zuversichtlich, rechnete jedoch nicht damit, dass mich eine Medikamentenunverträglichkeit noch weiter zurückwerfen könnte. Viele Tage, Wochen, ja sogar Monate liegen dadurch in einem Nebel und die Erinnerung fühlt sich so verzerrt und unwahr an. Noch heute erkämpfe ich mir meine Energie zurück und mit der teilweisen Arbeitsfähigkeit spüre ich bereits wieder die alten Herausforderungen. 

Wie oft denke ich, es ist höchste Zeit, einige Dinge im Leben zu ändern, Glaubenssätze umzuwandeln, mit dem Ziel, das Leben für mich leichter, entspannter, lebenswerter zu gestalten. Wie ernüchternd zu erkennen, dass so klar ersichtliche Dinge so schwer zu ändern sind, weil ich allzu leicht in meine alten Muster falle. Die kenne ich, die sind mir vertraut und ich brauche damit keine Kraftanstrengung, das läuft. Doch frisst es unmerklich meine Ressourcen auf und ich kann nirgends auftanken. 

Aus all diesen Gründen bin ich dankbar, Kontakt zu Leuten zu haben, die ähnliches erlebt haben oder erleben. Der Austausch ist so unendlich wertvoll, es tut so gut, sich verstanden zu fühlen, zu merken, dass es gerade in Ordnung ist, wie ich mich fühle und ganz wichtig: es kann und wird wieder besser werden. Einfach nicht von heute auf morgen, so wie ich’s halt gerne hätte. 
Gerade geht mir eine Melodie durch den Kopf….. Somewhere over the rainbow 
 

Hope